Bei Kleinkindern ist es uns ganz
selbstverständlich: Manchmal sind negative Gefühle völlig überbordend. Dann braucht’s die Mutter oder den Vater, die Oma oder den Opa oder eine andere Bezugsperson, die die Gefühle
einfach annimmt und aufnimmt und so hilft, damit umzugehen… Das Aufnehmen ist der erste wesentliche Schritt. Bei Kind einleuchtend: Es kann noch gar nicht analytisch, reflektierend
erklären, was denn los ist… Aber das ist eben auch bei Erwachsenen so, wenn ein Gefühl überbordend, überfordernd da ist - Trauer, Angst, Wut, Enttäuschung ... können uns ganz und gar
ausfüllen.... Bevor so ein dickes Gefühl nicht raus ist, wahrgenommen, angenommen, kann gar nichts anders ankommen... Und manchmal ist es wohl auch so, dass tatsächlich sehr sehr lange
und vielleicht für immer nichts mehr geht... - das man chronisch infiziert wird von einem Gefühl, dass es gar nicht mehr weggeht... Aber oft gilt, wenn das Gefühl „aus“ ist, ausgelebt,
ausgedrückt, dann kann in einem zweiten Schritt erfasst werden, worum es denn überhaupt geht, und dann in einem dritten überlegt werden, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Der britische
Psychoanalytiker Wilfred Ruprecht Bion (1897–1979) fand für diese haltende Haltung den Begriff Container. (Und wie bei allen menschlichen Regungen gibt es hilfreiche
Container-Beziehungen, die Entwicklung voranbringen, wenig nützliche und sogar zerstörerische Container-Beziehungen. https://www.medizin-im-text.de/2020/114/containment-gefuehle-halten/) Wenn
es Menschen schwerfällt, heftige Affekte und Gefühle wahrzunehmen, als Teil ihrer selbst zu akzeptieren und schließlich zu bewältigen, benötigen sie ein Gegenüber, das wie ein Container
alles aufnimmt, ohne es gleich zu bewerten… Das ist vielleicht so etwas wie ein zweiter externer Magen, der beim Verdauen hilft. Was hat das mit Karfreitag zu tun? Der Karfreitag ist so
eine Art Container – oder könnte es sein. Die gesellschaftliche Verneigung vor dem Leiden Jesu ist ja – gerade in einer säkularen Gesellschaft - eine gesellschaftliche Verneigung vor den
Leidenden. An einem Tag im Jahr begehen wir eine kollektive Stille. Wir halten das Nicht-Aktivsein, die Ohnmacht, die Unbeholfenheit und Unsicherheit angesichts der ungezählten Leiden
aus. Christinnen und Christen gedenken des Gekreuzigten auf Golgatha. Aber sie gedenken eben auch des Unheilen dieser Welt. Und da treffen sie auf alle, die Anstoß nehmen am Leid! Diesen
Respekt braucht es auch ganz alltäglich: dass ich auf dem Friedhof die Grabpflege unterbreche, wenn ein Sarg, eine Urne vorbeigetragen wird; dass ich einen Moment innehalte, wenn der
Rettungswagen vorbeibraust der ich einen Leichenwagen wahrnehme… Und neben den Tagen, die wie ein Container wirken mögen, braucht es vor allem Menschen, die das für andere sind.
Hospizbegleiter*innen lernen das: Ich höre Dir zu. Ich nehme Deine Gefühle wahr und ernst. Ich diskutiere sie nicht weg. Auch da, wo sie mir unverständlich sind und bleiben. Ich bleibe da
und lasse mich von Deinem Leiden nicht vertreiben. Ich habe begriffen, dass das manchmal das einzige ist, was hilft. Ich denke dabei immer an ein Zitat aus Astrid Lindgrens Buch Ronja
Räubertochter; da heißt es: „Lange saßen sie dort. Und hatten es schwer, doch sie hatten es gemeinsam schwer, und das war ein Trost. Leicht war es trotzdem nicht.“ Die hilfreiche
Container-Beziehung baucht lebenslange Einübung… Wie gut, dass es Karfreitage gibt, die uns als Gesellschaft erinnern, dass das unsere gemeinsame Verantwortung ist: Leiden abzustellen, wo
immer das geht; Leiden zu lindern, wo immer das geht; Leidende zu halten, wann immer sie mir begegnen (und sei es mit einem Moment liebender innerer Zuwendung). Und ein letzter Gedanke
zum Tod, der im Mittelpunkt dieses Tages steht. Astrid Lindgren erinnert uns an einen Container – jedenfalls eine Anekdote, die man sich von ihr überliefert: Sie telefonierte jeden Tag
mit ihren Schwestern Ingegerd und Stina. Als sie älter wurden, so erzählt man, begannen sie ihre Gespräche immer mit den Worten "der Tod, der Tod", um das Thema sozusagen abzuhaken, um
danach über andere Dinge reden zu können. Das ist ein wunderbarer Container. Nicht wahr?! Einen guten Karfreitag wünscht in diesem Sinne Ida Lamp und das Team von ZAPUH
Kreuz von Ida Lamp - Rinde, Sei, Stein
Text: (C) Ida Lamp