Sie sagt auf mein Nachfragen "Haben Sie Schmerzen?": "ein bisschen." Das Gesicht der hochbetagten Dame spricht eine andere Sprache.
"Wenn Sie auf einer Skala von 1-10 Ihren Schmerz einordnen sollten: 1 bedeutet wenig, 10 ganz doll Schmerzen?", hake ich noch einmal nach. "6" gibt sie an, ohne Zögern. (Eine sehr populäre
Skala ist diese Numerische Rangskala (NRS), mit der Schmerzintensitäten abgefragt weren können...)
Die Krankenschwester, die ich rufe, gibt ihr ein Schmerzmedikament. Nach einer Dreiviertelstunde hat sich an der Physiologie - dem Schmerzausdruck im Gesicht - nichts verändert. Und als ich nachfrage, wie es jetzt um ihren Schmerz stehe, gibt sie "8" an...
"Ein bisschen Schmerzen" - Die kleine Szene zeigt, wie nötig eine gute Schulung in der Wahrnehmung von Schmerzen ist und wie sinnvoll der Einsatz von Schmerzassessments.
In der Fachliteratur kann man immer mal wieder lesen: "Die Beobachtung, die sogenannte Fremdeinschätzung mit spezifischen Beobachtungsinstrumenten für das Phänomen Schmerz, ist nur dann
anzuwenden, wenn die Patienten nicht selbst Auskunft zu ihrer Schmerzsituation geben können."
(hier zitiert: Die Schwester Der Pfleger, Ausgabe 12/2017, Seite 42).
Nach meiner Erfahrung stimmt diese Aussage eben nur sehr bedingt. Die Erfahrung wie die Versprachlichung von Schmerz sind hochkomplex - und haben viel mit Sozialisation (z.B. "ein Indiander
kennt keinen Schmerz") und Wertvorstellungen (z.B. man fällt besser niemandem zur Last) zu tun...
Hinsehen und nachfragen und das Nutzen von Einschätzungsinstrumenten zusammen hilft ganz sicher vielen, weniger Schmerzen leiden zu müssen!
Eine noch wenig bekannte Methode ist die Dolografie (2017), das Nutzen von Bildern, um über Schmerzqualitäten zu sprechen.
Zwei Kommunikationsdesignerinnen, Sabine Affolter und Katja Rüfenacht, haben ein „Kommunikationstool“ zum Sprechen über Schmerzen entwickelt, das aus 34 Bildkarten besteht. Die Bilder auf den Karten stellen keine konkreten Gegenstände dar und entziehen sich einer eindeutigen Deutung. Es gibt kein „besser“ oder „schlechter“. Über die Motive der Karten entwickelt sich ein Gespräch über die Schmerzen, das ohne sie nicht möglich wäre...
Die Wiener Geriaterin Marina Kojer hat Bilder vorgestellt, mit den bei Menschen mit Demenz Schmerz abgefragt werden kann.
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) gibt an, dass etwa jeder sechste Altenheimbewohner an Schmerzen leidet.
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass es zu wenig Fachkräfte gibt!
Und was es braucht neben der fachlichen Kompetenz ist Zeit!
Immer ist das Instrument der Schmerzbekämpfung Kommunikation!
Immer braucht es Menschen, die achtsam Schmerz wahrnehmen.
"Ein bisschen Schmerz!"
Eine Leitlinie "Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe - Langversion der multiprofessionellen S3-Leitlinie" liegt seit 2017 vor (AWMF Registernummer 145 – 001; Stand: 11. Juli 2017) und kann im Internet heruntergeladen werden: http://www.awmf.org/…/145-001m_S3_Schmerzassessment-bei-ael…